DER KAMPF UM DIE "SCHLACHT BEI ZEHDEN"

Brandenburg - Landkreis Märkisch-Oderland (MOL)

 

Robert Ryss

 

Von August bis November 2007 wurde in der in Chojna (Königsberg/Nm.) erscheinenden Zeitung "Gazeta Chojenska" (Chojnaer Zeitung) eine Sammlung von Artikeln veröffentlicht. Auslöser für die heftige Diskussion war ein Artikel von Chefredakteur Robert Ryss über die Schlacht bei Zehden. Im folgenden Artikel, den uns Robert Ryss freundlicherweise zur Verfügung stellte, fasst der Autor die Diskussion in seiner Zeitung zusammen.

Die Diskussion in den Spalten der "Chojnaer Zeitung", angefangen mit meinem Artikel "War die Schlacht bei Zehden wirklich bei Zehden?" (Nr. 32-33 vom 7. August), nähert sich dem Ende. Interessant ist, dass die Veröffentlichung bis zu einem Jahr gedauert hat, weil es ständig Zeitdruck durch die aktuellen Ereignisse gab.

Unterdessen fiel auf, dass die Schlacht bei Zehden ein sehr aktuelles Thema war (mindestens für einige), aber auf jeden Fall war es die längste Debatte in der Geschichte der Zeitung. Ich habe mich gefreut, dass Slawomir Blecki  (mein Haupt-Gegen"redner") sich für eine öffentliche Debatte entschieden hat, besonders freut es mich, dass seine Rhetorik wiederum andere zum Schreiben anregte.

Bekümmert war ich jedoch, dass er diese Polemik mit einem hysterischen Kommentar verbreitete und mir zensorische Neigungen unterstellte (so interpretierte er die Verzögerung in der Veröffentlichung seines sehr langen Textes), aber die Argumente meines Artikels, verbindet er mit den deutschen Vertriebenen und ihren Ansprüchen gegenüber Polen.

Die Haupttendenz meines ersten Artikels war der folgende Gedanke: Auf einer mythologisierten Geschichte, falschen Symbolen und Vorurteilen, kann kein reifer Patriotismus aufbauen, und auch keine gesunde nationale und regionale Identität. Eines von diesen Symbolen ist die Schlacht bei Zehden. (…)

Zur Unterstützung meiner Argumente schrieb Janusz Tazbir im Vorwort zum Buch "Polen in den vergangenen Jahrhunderten": "Schon seit Generationen wird unser Blick auf den frühen Anbeginn Polens durch die Sichtweise des 19. Jahrhunderts regiert, als bestimmte Sachen einfach nicht geschrieben wurden, um der Propaganda der Teilungsmächte nicht zur Hand zu gehen." (…)

 

Nicht der Standort ist wichtig

Tatsache ist, die Forscher sind nicht einer Meinung bei der Frage des Standorts der Schlacht. In der druckfrischen "Geschichte Polens bis 1586. " schreibt H. Samsonowicz, "Es ist nicht endgültig zu bestimmen, ob die Burg, bei der die Schlacht geschlagen wurde, Zehden war", zwar mit dem Zusatz, dass dies am wahrscheinlichsten sei. Mit solchen Zweifeln müssen nicht nur die Zehdener leben, sondern alle Polen. (...)  Aber Dank solche Unbestimmtheit ist es möglich, einen gesunden Abstand dazu zu bekommen, als wenn alles festgelegt, unveränderlich ist, seit ewigen Zeiten. Und - wie ich bereits schrieb - solch gesunder Abstand ohne nationale Aufregung würden den Festlichkeiten zum Jahrestag der Schlacht bei Zehden guttun. Wie man die Festlichkeiten begeht, ist eine große Herausforderung für die Einwohnerschaft von Cedynia. Aber lassen Sie uns Zweifel beiseite drücken und lassen Sie uns davon ausgehen, dass Mieszko gegen Markgraf Hodo in der Nähe von "diesem" Zehden kämpfte. Ich versetze mich vor allem in die Sprache und es taucht das Bild einer vergangenen Welt auf: Der Widerstreit mit den Deutschen, unseren "ewigen" Feinden. Und die Verteidigung des urpolnischen Landes vor ihnen. Geht es hier noch um die Geschichte, oder um uns, die zeitgenössischen Polen und darum, wie wir die Welt sehen wollen? Wollen wir sie durch die Brille einer guten Zusammenarbeit mit den Nachbarn sehen, oder eben als Abfolge andauernder Rivalität, von Konflikten und Hass?

Andauernd, auch kürzlich, werden die antideutschen Vorurteile mit großem Zynismus zum politischen Kampf verwendet, weil dadurch viele mögliche Wähler zu gewinnen sind. Die Verwüstung im Verstand der Leute, welche, anstatt eine offene Haltung einzunehmen und sich in der Wirklichkeit zu engagieren, sich eine Wirklichkeit des heutigen Europas und der Welt erfinden, um sich herum Mauern des Misstrauens und Argwohn, Furcht und Angst, errichten, hinter denen sie sich verstecken und sich vor eingebildeten Dingen fürchten. Aber Furcht hat man doch vor allem vor dem Unbekannten.

Bild 1 Darstellung der Schlacht bei Zehden am Fuß des Cziborberges zwischen Osinow Dolny (Niederwutzen) und Cedynia (Zehden).

Bild 2 Mieszko I. war ab ca. dem Jahr 960 Herzog von Polen und lebte bis 992. Der Sieg von Mieszko (polnischer Herzog, 935 bis 992 - Anm. d. Übers.) über Hodo  (Markgraf der Lausitz, 930 bis 993 - Anm. d. Übers.) ist eine Tatsache, gleichwohl muss man die slawisch-polnisch-germanischen Verhältnisse in seiner zeitgenössischen Gesamtheit betrachten. Diese Schlacht war keinesfalls typisch für das Verhältnis zwischen den Piasten und den Deutschen. Und kann deshalb auch nicht als Symbol dienen. Aber genau so funktioniert sie auch, lediglich als Symbol von etwas, was es so nicht gab. Wie schrieb der den Polen sehr zugetane englische Historiker Norman Davies, "unwahr ist die Legende über die tausendjährige ungezügelte polnisch-deutsche Feindschaft. Von der Dominanz eines entscheidenden gegenseitigen Konflikts zu sprechen ist nur möglich in Bezug auf eines von zehn Jahrhunderten Geschichte. Auf den Jahrzehnten zwischen 1870 und 1970 liegt aber der Schatten des fremdenfeindlichen Nationalismus. Sie wurden auch Zeuge von einigen der schlimmsten und unmenschlichsten Taten in der Geschichte Europas. Es ist jedoch nicht möglich, sie als das Typische anzusehen". Davies spricht auch davon, ähnlich wie viele andere Historiker, dass die damalige polnische Westgrenze die allerruhigste von allen unseren Grenzen in der mehr als 1000-jährigen Geschichte des polnischen Staates war, auch eine der ruhigsten Grenzen in Europa! Und genau darüber handelte mein Text.

Mit wem die Piasten kämpften

Mieszko I. gewann im Jahre 990 Schlesien, Breslau, Oppeln und Krakau. So wurde das von  Pawel Jasienica in "Das Polen der Piasten" beschrieben: "Betrachtet man aufmerksam, dass der Krieg um diese Ländereien gegen die Böhmen geführt wurde, welchen wiederum die Wilzen (slawischer Stamm - Anm. d. Übers.) zu Hilfe kamen, während die Verbündeten des polnischen Herzogs die Bild 3 Alljährlich wird der Schlacht bei Zehden bei den Dni Cedyni (Zehdener Tagen) gedacht.Deutschen waren! Und das waren nicht irgendwelche Markgrafen im Grenzland, die auf eigene Faust handelten, sondern vier Abteilungen schwer bewaffneter Ritter, entsandt durch die Kaiserin Theofano (die Frau Kaiser Ottos II. und Mitkaiserin des Heiligen Römischen Reiches für 11 Jahre und Kaiserin für 7 Jahre - Anm. d. Übersetzers). Das alles ist bezeugt durch den deutschen Geschichtsschreiber Thietmar, dessen Vater Siegfried an dieser Expedition teilnahm. Und zwar ist dies derselbe Siegfried, den Mieszko nahe Zehden schlug, anschließend half der ihm im Kampf gegen die Böhmen!

Derartige Auseinandersetzungen sind häufig gewesen. Mieszko I., gerade damit beschäftigt unser Land zu erobern, kämpfte nicht gegen die Deutschen, sondern gegen die hier bereits lebenden Slawen. In den Jahren 967 bis 972, besetzte er Pommern und unterwarf die Wolliner und die Redarier - wie auch die meisten anderen Slawen. Um Schlesien rivalisierten wir nicht mit den Deutschen, sondern mit den Böhmen, die es im 14. Jahrhundert am Ende übernahmen. In den Jahren 985-86 nimmt Mieszko an den Expeditionen des deutschen Kaisers Otto III. gegen die Wilzen teil (das heißt polabische Slawen). Dann verstärkte Boleslaw der Tapfere um 995 seine Herrschaft über Pommern und unterstützt Otto in den Kämpfen mit den Wilzen. 10 Jahre später schüttelten die Pommern die Herrschaft der Piasten ab.

 

Boleslaw Schiefmund

In den Jahren 1113 bis 1122 unterwarf Boleslaw Schiefmund nach blutigen Kämpfen erneut Pommern, das von dem slawisch-pommerschen Herzog Wartislaw regiert wurde. Nach Boleslaw benennen wir heute Straßen. Einige Jahre später versuchte Wartislaw die Trennung von Polen und im Einverständnis mit Heinrich dem Löwen und den deutschen Kaiser Lothar III. fiel er in die polnischen Gebiete ein. Im Jahre 1181 huldigte Boguslaw I. Kaiser Friedrich Barbarossa und von diesem Moment verlor Polen jede Berechtigung an Pommern -  bis zum Jahr 1945. Ganz sicher waren die verschiedenen Bündnisse von Piasten mit Deutschen verflochten mit Kämpfen und Kriegen gegen sie (ob nun häufiger als gegen die Westslawen?). Unbestritten ist, dass die pommerschen Herzöge die Unabhängigkeit anstrebten, die zum Beispiel 1005, unter Ausnutzung der Kämpfe von Boleslaw dem Tapferen mit Kaiser Heinrich I., Pommern der polnischen Herrschaft entrissen. Hervorzuheben ist also: Polen verlor dieses Land nicht deshalb, weil es uns Deutschland wegnahm, sondern weil die Pommern sich nicht der polnischen Herrschaft unterwerfen wollten. Und es muss festgestellt werden, dass es nicht irgendeine dichte slawische Front gegen die Deutschen gab, weil beide Seiten sehr zerstritten  - auch untereinander  - waren.

 

Geschichte und Propaganda

Traurig ist, dass heute, im freien Polen, zurückgekehrt wird zur Manipulierung der Regelungen für Historiker, zur Zensur der Schulbücher und zu schnellen Vorteilen aus den Gräben der Vergangenheit, zum paranoiden Misstrauen auf die Welt, welche - das ist sicher das Schlimmste - in der Regel zum Misstrauen vor sich selbst führt. Und an solchem Vertrauen und Glauben an uns mangelt es uns Polen sehr. Oder wie Norman Davies zu diesem Thema sagte, “Ihr Verhältnis zur Geschichte - eine merkwürdige Mischung aus Komplexen, grundlosem Stolz und Anspruch auf die Welt” und im Endeffekt wird Polen - anstatt bewundert zu werden - “zu einem lächerlichen (...) Land”.

 

Die Geschichte benötigt einen neuen Geist

Im "Tygodnik Powszechnym" (bedeutende polnische katholische Wochenzeitung - Anm. d. Übers.) erschien am 1. Oktober 2007 eine Reportage von Michal Kuzminski und Michal  Olszewski über das Grenzgebiet. Dies ist auch die Region des nationalen Gedächtnisses: "In Cedynia und der Umgebung bemerkt man überall die Schatten einer alten historischen Sage. Nicht nur Czcibor-Hügel  ist überwachsen. In den Spalten der Gedenkstele in Czelin (Zellin), wo im Februar 1945 der erste polnische Grenzpfahl stand, wachsen hohes Gras und Unkraut. Über das nahegelegenen Museum, in welchem der blutige Überquerung der Oder gegen Ende des 2. Weltkrieges gedacht wird, hat sich Schirm der Ruhe gesenkt. In Siekierki (Zäckerick)und Gozdowice (Güstebiese) findet man zerknitterte Zeitungsausschnitte von vor dreißig Jahren, Schimmel, altersschwache, morsche Dekoration, Erinnerungsbücher liegen auf einem Haufen und an der Schreibmaschine wird  gewarnt "NICHT BERÜHREN!" Alte Fotografien, Eintragungen von dorthin beförderten Touristen, die Andenken Bild 4 Fand hier die Schlacht bei Zehden statt? Polnische Gedenkstätte am Fuß des Cziborberges zwischen Osinow Dolny (Niederwutzen) und Cedynia (Zehden).von Treffen und Wanderungen, Schulabzeichen, sortiert in Form des Kopfes des Adlers oder dem Motto: "NIE WIEDER KRIEG". Aber nur 50 Kilometer südwestlich, auf der anderen Seite, in der Stadt Seelow, wo einige tausend sowjetische Soldaten begraben sind, zeigt man, dass es möglich ist zu erinnern - ohne Aufregung und Moderne, in einem Gebäude, das an einen militärischen Unterstand erinnert. Durch eine diskreten Beleuchtung, ein wenig aufgefrischte Fotografien und historische Uniformen fängt die Geschichte wieder an zu sprechen.

Sandra und Ola aus Cedynia sind in der fünften Klasse der Grundschule, Patrycja in der vierten. Gebeten, über die Schlacht von Zehden zu sprechen, überlegen sie, ob es das Jahr Neunhundert oder Neunzehnhundert war. Ola ist sich sicher: Im Jahr 974! Mieszko I. Aber gegen wen? Patrycja glaubt, dass er gegen die Schweden kämpfte, ist sich aber nicht sicher, ob sie auf der richtigen Spur ist. Ergebnislos suchen sie in ihrem Gedächtnis nach Daten, Tatsachen und Formeln. Zweck war die Verteidigung der  Heimaterde - sagt plötzlich Ola. Aber waren da nicht noch andere kriegerische Auseinandersetzungen in dieser Gegend? Die Mädchen wissen, dass während des Zweiten Weltkrieges die Oder überquert wurde. Aber wer überquerte die Oder?  Bestürzung. Und dann die schüchterne Antwort: - die Deutschen…"

 

Epilog

Das ist dann eine sehr patriotischer Pointe, in einer würdigen Art und ohne Ironie: Die Revidierung von Mythen und Verfälschungen der Geschichte schwächt nicht das nationale Bewusstsein, sondern im Gegenteil: Es wird viel stärker! Das gibt uns auch die innere Kraft, die sich in der Praxis, in offenen Gesprächen mit Ausländern bewähren wird, aber besonders mit jenen großen Nationen, die so auf unserer Seele brennen, wie Deutschland und die Juden. Deshalb ist es so, dass wir die weißen Flecken unserer Geschichte tilgen müssen (es sind überraschend viele). Und es ist beträchtlich besser, wenn wir das selbstständig machen als wenn andere sie vor uns entdecken, und dann nicht immer freundlich. Stützend auf Tatsachen, ohne sich auf Vorurteile zu stützen, auf Mythologien, auf Legenden und Ideologie; das erhöht ungewöhnlich die Leistungsfähigkeit der polnischen Argumente. Ich erfuhr dies viele Male; deshalb weise ich diesen Weg auch anderen.

(Aus dem Polnischen übertragen von Heiko Walther-Kämpfe)

  

 

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