VIADRUS - Flussgott der Oder

Brandenburg - Landkreis Märkisch-Oderland (MOL)

 

Dr. Ernst-Otto Denk

 

Seit Jahrtausenden verehren die Menschen ihre Flüsse und erhoben sie wegen der Bedeutung und Notwendigkeit für ihre Existenz zu Gottheiten. Der Flussgottkult entstand in den alten Zivilisationen des Zweistromlandes, Altägyptens, Griechenlands und des Römischen Reiches.
Die Museen in Kairo, in Istanbul und die Vatikanischen Sammlungen Roms zählen diese Steinplastiken zum Wertvollsten ihrer Bestände. An dieser Stelle soll an die wundervolle Ausstellung mit Kunstgegenständen erinnert werden, die vom Meeresboden vor Alexandria geborgen wurde. Ein Höhepunkt darin war die Monumentalplastik des Nilgottes Hapi. Auch die Ausstellung „Die Rückkehr der Götter" im Pergamonmuseum zählt plastische Abbildungen des griechischen Flussgottes Acheloos zum Beachtenswertesten.
Mit der Entwicklung der Zivilisationen wurden die Menschen unabhängig von der Natürlichkeit ihrer Flüsse und so verloren ihre Flussgottheiten an Bedeutung. Im Barock erinnerte man sich wieder dieser alten Tradition in der Bildhauerei und der Malerei. So wurde jene Kunstepoche auch zur Geburtsstunde des Flussgottes unserer Oder.
Auf den ältesten Kartenwerken wird die Oder als Viadrus fluvius bezeichnet. Bereits die Karte „Magna Germania" der Ulmer Ptolemäus-Ausgabe von 1482 nennt Viadus fl. Seit Jahren gibt es Zweifel an der richtigen Zuordnung des Namens zu den in die Ostsee mündenden Flüssen. Die historische Wahrheit wird vielleicht immer im Dunklen bleiben. Ob geografischer Irrtum oder nicht, was 500 Jahre so benannt wurde, genießt gewissermaßen einen historischen Bestandschutz. Kolumbus benannte die Ureinwohner Amerikas auch Indianer, nur weil er glaubte, seine Flotte wäre in Indien gelandet. Und niemand käme heute auf die Idee, an der Interpretation etwas zu ändern.
Den ältesten Hinweis auf den Odergott fand ich im Titel eines Buches des schlesischen Dichters Martin Opitz aus dem Jahre 1625, das in Breslau gedruckt wurde. Der wohl schönsten bildhauerische Darstellung des VIADRUS begegnet man in Stettin am einstigen Berliner Tor, dem heutigen Brama Portowa. Das von Gerhard Cornelius Wallrave entworfene Bauwerk wurde 1724 -1725 als Teil der Stadtbefestigung der pommerschen Metropole vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. errichtet. Der schmale Fries über dem Tordurchgang zeigt einen nach links blickenden, im Schilf gelagerten muskulösen Mann im „besten Alter". Mit dem linken Arm lehnt er an einer Quellurne, den Fluss symbolisierend, die Rechte hält ein Ruder, ein Hinweis auf die Schiffbarkeit des Flusses. Er ist mit nacktem Oberkörper dargestellt, seine Lenden werden von dem Himation, einem rechteckigen Stück Wollstoff bedeckt, wie es im alten Griechenland Mode war. VIADRUS blickt über eine Flusslandschaft, auf der die Silhouette der Hafenstadt Stettin zu erkennen ist.

Repro ViadrusDie Darstellungsweise entspricht einem künstlerischen Modus, der im 2. Jahrhundert vor Christus entstand und dem wir von da ab in der Kunstgeschichte immer wieder begegnen werden.
Eine wunderschöne Darstellung des Odergottes hält die Stadt Breslau für uns bereit. Hier, in der Leopoldina Aula des ehemaligen Jesuitenkollegs, direkt über der Empore, dem Chorbalkon, hat ihn der berühmte Olmützer Maler Johann Christoph Handke 1732 an die Decke gemalt. Hier thront er neben der Wratislawia, der Schutzpatronin der Stadt und der Silesia, der Allegorie auf Schlesien über den Häuptern der Besucher. Auch er ist mit einem Schilfzweig im Haar, dem Himation, dem Ruder und der Quellvase in barocker Pracht dargestellt.
Ein zweiter Viadrus stammt vom Maler Anton Scheffler und ziert seit 1734 den Plafond des Kaiserlichen Treppenhauses des gleichen Gebäudes, das vor wenigen Jahren mit umfangreicher finanzieller Hilfe aus Deutschland sein ursprüngliches Aussehen erhielt.
Das Flussgottmotiv war auch für Medailleure stets interessant. Nachdem im Jahre 1785 Herzog Leopold bei einer Rettungsaktion im Oderhochwasser bei Frankfurt ums Leben kam, widmete man ihm eine Medaille, die Avers sein Porträt zeigt, Revers jedoch einen trauernden Odergott mit einem zerbrochenen Ruder und einer Quellvase mit der Aufschrift VIADRUS.
Im Jahre 1787 errichten die Mitglieder der Frankfurter Loge ihrem Bruder ein sehr aufwendiges Denkmal mit der Frankfordia, der Schutzpatronin der Stadt und einem trauernden Flussgott zu ihrer Seite. Das Kunstwerk befand sich auf der rechten Seite der Oder und ist seit dem Ende des Krieges verschollen.

OdergottAnlässlich des 750. Stadtjubiläums der Oderstadt wurde eine Medaille geprägt, die den Flussgott zeigt.
Eine Zeichnung des VIADRUS findet man auf dem Siegel der Ritterschaft vom Deich-Bande des Oder-Bruchs mit der lateinischen Unterschrift „VIGILANTIBUS PARUM OBEST" oder „Den Wachsamen schadet er nur wenig".
Auf dem Hauszeichen des Freienwalder Oderlandmuseum, einer Arbeit von Horst Engelhardt, begrüßt der Flussgott die Besucher.
VIADRUS ist seit wenigen Jahren der Name eines Ausflugsbootes an der Anlegestelle der Uferpromenade in Frankfurt (Oder).
Zurzeit läuft ein Projekt des Bildhauers Horst Engelhardt aus Jäckelsbruch bei Wriezen. Er entwarf eine monumentale Stahlplastik als Allegorie der Oder. Sie wird, wenn der langwierige Prozess der finanziellen Förderung zu Ende ist, auf einem Hügel in der Nähe der ersten deutsch-polnischen Oderfähre aufgestellt. GemäldeDas Vorhaben wird vom Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und vom Landrat des Kreises Märkisch Oderland, Herrn Gernot Schmidt, unterstützt.
Die Initiatoren des Projektes, das von zwei Vereinen des Oderbruchs betreut wird, sehen in der Flussgottplastik ein Symbol für die neue Oder mit ihren Anrainerstaaten. Sie betrachten es als Beitrag für die Rekonstruktion des Confinium Viadrinum als einen europäischen Kulturraum, der im Begriff ist sich zu entwickeln.
(BILD 2 und BILD 3
Der Odergott an der Decke der Aula der Leopoldina in Breslau, gemalt von Johann Christoph Handke.)

In „Die Welt" schrieb E. Fuhr 2006, „Flüsse führen nicht nur Wasser, sondern auch Ideen, Geschichte, Politik und Kunst. Irgendwann entfalten sie einen Geist, weil ein mächtiges Erinnerungs- und Assoziationsprogramm eingeschaltet wird, sobald ihr Name fällt."
Möge VIADRUS zum Bindeglied werden zwischen den europäischen Regionen Mähren, Schlesien, Brandenburg und Pommern, die wir heute wieder benennen dürfen, als wären es die Toscana, Südtirol oder das Elsaß.

 

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